Marvin

Im Sattel unter südlicher Sonne

Hoch in den Bergen Spaniens, nicht weit von Madrid entfernt. In dieser wunderschönen Landschaft arbeitete ich ein halbes Jahr, um die klassische Reitkunst, den Lusitano, sowie Land und Leute besser kennenzulernen. Ein Auslandsabenteuer und eine einzigartige Erfahrung für Pferdemenschen. Danke Leonie für diese unvergessliche Zeit und Alles, was ich von Dir lernen durfte.

Lusitano-Wecker

Einen Wecker brauchte ich morgens eigentlich nie, denn unmittelbar vor meiner Türe warteten 16 Lusitano Hengste lauthals auf ihr Frühstück. Für mich gab es zu dieser Zeit fast nichts Schöneres, als von den leichten Sonnenstrahlen geweckt zu werden, die begleitet von Pferdeschnauben durch die kleinen Fenster meines Wohnwagens ins Innere drangen. So gern versetze ich mich in das Jahr 2013 zurück und lade euch nun auf eine kleine Geschichte ein.

Meine kleine Gestütsgeschichte

Atemberaubender Start in den Tag

“Sobald ich die Tür öffne, befinde ich mich mitten auf dem 1000 Hektar großen Gestütsgelände, umgeben von der atemberaubenden Berglandschaft von Kastilien und Leon, nur 30 Minuten von der schönen Stadt Segovia entfernt. Und ja, ich lebe hier in einem Wohnwagen, was sich für den Ein oder Anderen schlimmer anhören mag, als es tatsächlich ist. Doch ich habe ein Bett, ein Bad, einen Tisch, Sitzmöglichkeiten und sogar Platz. Aber davon abgesehen bin ich lediglich zum Schlafen dort, da sich der Großteil des Gestütslebens draußen, rund um die Tiere abspielt. Mein Wohnwagen befindet sich unmittelbar gegenüber des Gestütshauses. Auf meinem Weg dorthin begrüßen mich die hier lebenden Hunde und Katzen voller Freude auf den neuen Tag. Dieser beginnt meist mit einem gemeinsamen Frühstück bei Leonie. Am großen, runden Tisch gibt es Müsli, Obst, Kaffee oder Tee zur Stärkung und es wird darüber gesprochen, was uns heute alles erwartet.

Es kommt immer anders als geplant

Dass Vieles nicht nach Plan läuft und oftmals etwas dazwischen kommt, ist hier in Spanien Normalität, was man mit der Zeit sehr gelassen nimmt. Eines Mittwochs ist Adam, ein Mitarbeiter des Gestüts, zu mir gekommen und sagte aufgeregt: „Sattel schnell den Braunen und reite hoch zur Weide. Eine Kuh versucht zu kalben und schafft es nicht allein – wir müssen ihr helfen!“ Mein Spanisch hat gerade gereicht, um die Hälfte des Satzes zu verstehen. Doch durch die Kommunikation mit Händen und Füßen haben wir es geschafft, das Kalb gesund zur Welt zu bringen. Dazu muss ich sagen, dass man hier nicht mal eben hoch zur Wiese reitet, denn die Kuh- und Pferdeweiden sind so riesig, dass 60 Minuten teilweise nicht ausreichen. So etwas ist natürlich spannend für ein (damals) 24 jähriges Stadtkind wie mich, allerdings eher die Ausnahme, da sich meine Arbeit hauptsächlich rund um die Pferde dreht – welche ich nicht als weniger spannend beurteilen mag.

Jedes Pferd bekommt hier die Zeit die es braucht

Dazu gehören das Anreiten der vierjährigen Hengste, das Ausbilden der jüngeren Hengste, sowie das Lernen von den älteren Hengsten – und das bis zu Lektionen der hohen Schule. So habe ich auf dem Gestüt auch meine erste Levade auf dem Schulhengst Vingador reiten können und die Arbeit an der Hand kennengelernt. Alle Pferde werden hier nach den Grundsätzen der klassischen Reitkunst ausgebildet und trainiert. Geritten wird auf einem nahezu traumhaft gelegenen Reitplatz, von dem ich meinen Blick über die ganze Landschaft schweifen lasse, bis ich mich in der Ferne verliere, wo Stuten und Fohlen in den Seen der Weiden plantschen. Während meiner Zeit auf dem Gestüt gibt es Tage, an denen ich viel an der Hand arbeite oder longiere, aber ebenso Tage an denen ich bis zu zehn Pferde am Stück reite. Dabei komme ich unter der spanischen Sonne, auf 1100 Metern Höhe, ordentlich ins Schwitzen. Durch den konstanten Reitunterricht und das Reiten der jungen Remonten bis zu den hoch ausgebildeten Pferden, habe ich mich in kürzester Zeit reiterlich um Einiges verbessern können und viel von Leonies Expertise dazu lernen dürfen. Dabei wird besonders auf die feine Einwirkung der Reiterhilfen und einen korrekten Sitz geachtet. Wenn die jungen Lusitanos als Vierjährige von den Weiden in den Stall kommen, wird behutsam angefangen mit ihnen zu arbeiten. Das Wichtigste ist, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihren Spaß an der Zusammenarbeit mit dem Menschen zu wecken. Danach werden sie korrekt nach klassischen Grundsätzen ausgebildet. Es wird viel Wert darauf gelegt, die Pferde behutsam und individuell zu arbeiten, anzureiten und zu trainieren. Sie sollen auf feine Hilfen reagieren und Freude am Training haben. Eine in Spanien leider häufig übliche schnelle und unsensible Ausbildungsart findet man hier nicht.

Überzeugend in allen Disziplinen

Zu meiner Zeit (2013)  befinden sich 24 gerittene Hengste und drei gerittene Stuten in den Stallungen des Gestüts. Insgesamt beherbergt die Yeguada La Perla über 150 Pferde, von denen die meisten Stuten und Fohlen, sowie Jährlinge sind. Diese leben ganzjährig in Gruppen auf riesigen Weideflächen rund um das Gestüt. Den Lusitanos wird nachgesagt, dass sie edel, gutmütig und feurig, dabei aber stets gelehrig und fügsam seien. Durch diese Charaktereigenschaften, sowie ihres Körperbaus zeichnen sich Lusitanos als Allrounder in Dressur, Springen, Fahren oder der Working Equitation aus. Doch gerade für die Dressur und die klassische Reitweise scheint diese Rasse, die ursprünglich für den Stierkampf gezüchtet wurde, als nahezu perfekt. Mit einem mittleren Gewicht und einer Größe von ca. 1,60 m überzeugt der Lusitano durch Rittigkeit, Durchlässigkeit, Eleganz und Leichtigkeit. Das Zuchtziel sind gewandte und erhabene Bewegungen, die stets nach vorwärts gerichtet und für den Reiter bequem zu sitzen sind.  Dadurch ist er ebenfalls für die klassischen FN/FEI-Disziplinen geeignet und kann in hohen Klassen durchaus mit den internationalen „Gangmaschinen“ mithalten. Hinzu kommt, dass die Farbenvielfalt in dieser Rasse noch nahezu vollständig erhalten ist und Falben, Palominos oder Cremellos keine Seltenheit, sondern gern gesehen sind.

Großstadtkind

Ich selbst komme aus der Großstadt Düsseldorf und das Leben in den Bergen ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Dazu gehört beispielsweise, das Gemüse aus dem eigenen Garten zu ernten, Wasser an einer Quelle zu holen oder damit auszukommen, dass der nächste Supermarkt 30 Minuten entfernt ist – und die nächste Diskothek übrigens auch. Aber ich muss sagen: das Leben in den Bergen gefällt mir super und ich bin ausgelastet genug, sodass es reicht an den Wochenenden unter Leute zu kommen. Neben der Arbeit sorgt Leonie ausreichend dafür, dass ich Spanien näher kennenlerne. Dazu gehören Ausflüge in die umliegenden Städte Segovia, Madrid oder Salamanca, sowie die Besuche von Fiestas, Flamenco Aufführungen und dem Lusitano Festival in Golega (Portugal). Solche Ausflüge sind sehr motivierend für die Arbeit auf dem Gestüt. Dazu kommt, dass der Freizeitausgleich zur Arbeit stets in einem guten Verhältnis steht. Die Sonne scheint hier bis zu 12 Stunden am Tag, so dass oftmals Zeit übrig ist, um an freien Tagen oder auch nach Feierabend am Pool zu liegen und zu entspannen. Dieses tolle Klima genießen auch die Pferde. Denn trotz der Haltung von Hengsten, wird stets darauf geachtet, dass sich jedes Pferd, zusätzlich zur Arbeit, auf dem Paddock austoben und entspannen kann. Ausgiebiges Wälzen und Schlummern in der Sonne gehören nun mal dazu. Dadurch sind die Hengste der Yeguada La Perla besonders ausgeglichen und der Arbeit gegenüber freudig gestimmt.”

I love Lusitanos. I love La Perla

Schöne Erinnerungen an eine Zeit, die meiner reiterlichen und persönlichen Weiterentwicklung diente und jedem zu empfehlen ist.“ Seit 2013 verbindet Leonie und mich eine Freundschaft und Verbundenheit. Zumindest alle zwei Jahre versuche ich zu Besuch zu kommen, um an diesem einzigartigen Fleckchen Erde Energie und Inspiration zu tanken. Ein magischer Ort mit einer für mich unvergesslichen Geschichte. I Love Lusitanos. I Love La Perla.